Mit Process-Mining-Apps die Beschaffung und das Bestandsmanagement optimieren
Immer mehr der Standard-Apps entwickeln sich zum schnellen und unkomplizierten Einstieg in Process Mining. Ein…
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In volatilen Zeiten wie in der aktuellen Corona-Krise verändert sich die Nachfragesituation signifikant, teils unvorhersehbar und kurzfristig. Die daraus resultierenden Nachfrageschwankungen richtig zu interpretieren und gute Entscheidungen zu treffen, ist eine Herausforderung. Um diese zu meistern, erläutern wir Ihnen in diesem Artikel den Zusammenhang zwischen Nachfrageschwankung und Bullwhip-Effekt sowie die Auswirkungen auf die gesamte Supply Chain. Mit praktischen Tipps helfen wir Ihnen, die Ursachen des Bullwhip-Effekts zu verstehen.
Um ein Aufschaukeln von Lieferketten zu beherrschen, müssen Unternehmen den Bullwhip-Effekt verstehen.
Dr.-Ing. Kai Philipp Bauer, Senior Manager Supply Chain Management
Es ist zwar weitläufig bekannt, dass Falschinterpretation oder das Fehlen aussagekräftiger Daten entlang der Stufen der Supply Chain zum Bullwhip-Effekt führen können. Doch was bedeutet das genau und was sind die konkreten Auswirkungen? In diesem Artikel möchte ich Ihnen aus gegebenem Anlass einen Überblick zum Thema Bullwhip-Effekt und den folgenden Fragestellungen geben:
Der Bullwhip-Effekt ist ein zentrales Thema innerhalb des Supply Chain Managements. Er beschreibt, wie sich Nachfrageschwankungen des Endkunden innerhalb der Lieferkette aufschaukeln. Der Produzent der Ware bekommt am Ende der Supply Chain eine überhöhte Bestellmenge mitgeteilt. Dies führt in der Folge zu Lieferengpässen, höheren Lagerbeständen und unzufriedenen Kunden. Während der Corona-Krise konnte man Mechanik und Auswirkung dieses Effekts gut am Beispiel des einfachen Haushaltsartikels Toilettenpapier beobachten.
Wir möchten Ihnen den Effekt an einem einfachen Modell veranschaulichen. Hierzu stellen wir uns eine ideale Supply Chain bestehend aus einem Produzenten, einem Zentrallager des Produzenten, einem Großhandelsunternehmen, einem Einzelhändler sowie dessen Endkunden vor. Zwischen den Akteuren werden Informationen und Waren ausgetauscht, wobei Informationen deutlicher schneller übertragen als Waren transportiert werden.
In unserem Beispiel kommt es zu einem Nachfrageschock und der Kunde kauft unerwartet viel Toilettenpapier ein. Der Einzelhandel reagiert und erhöht seine Bestellung beim Großhandel. Er erhöht diese allerdings überproportional stark, da er weiß, dass es dauert, bis die Ware bei ihm ankommt. Der Einzelhändler will den künftigen Kundenbedarf unbedingt decken und bestellt daher mehr als die tatsächliche Nachfrage. Dieser Effekt zieht sich so immer weiter durch die Lieferkette. Die Bestellmenge liegt in jeder Stufe des Netzwerks über der tatsächlich nachgefragten Menge. Einen Verlauf dieser Bestellmengen und der daraus resultierenden Lagerkosten zeigt sich in folgender Abbildung.
In diesem Beispiel kauft der Kunde bis zur Periode 5 konstant die gleiche Menge Toilettenpapier ein. Dabei kommt es in Periode 6 zu einem Schock und der Kundenbedarf verdoppelt sich. In der Folge beginnt der Großhandel seine Bestellmenge zu erhöhen. Die vorgelagerten Wertschöpfungsstufen verfügen über keine Kenntnis der erhöhten Bestellmenge und halten ihre Abgabemengen vorerst konstant. In Periode 9 kann man dann den Bullwhip-Effekt erkennen. Die Bestellmengen beim Verteilzentrum und Produzenten steigen sprunghaft an. Zudem kann man ein zweites Aufschaukeln in Periode 13 erkennen.
Die Folge dieses Bestellverhaltens sind zusätzliche Bestände und damit verbundene Lagerhaltungs- und Opportunitätskosten, da nicht in jeder Stufe die volle Nachfrage bedient werden kann. Im Verlauf der Kosten sieht man, dass gleichzeitig mit dem Ausschlag der Bestellmengen in Periode 9 auch die Kosten für alle Beteiligten ansteigen. Die Folge des Bullwhip-Effekts sind also höhere Kosten für alle Beteiligten des Netzwerks. Doch warum tritt der Bullwhip-Effekt eigentlich auf? Warum kommt es auf einmal zu einem Nachfrageschock?
Der Bullwhip-Effekt sorgt für höhere Kosten bei allen Beteiligten in der Supply Chain.
Dr.-Ing. Kai Philipp Bauer, Senior Manager Supply Chain Management
Es gibt eine Vielzahl an Faktoren, die ein unerwünschtes Aufschaukeln von Lieferketten begünstigen. Vier Gründe möchten wir Ihnen nachfolgend erläutern.
Eine einmalig erhöhte Nachfrage des Kunden wird oftmals als Signal für eine dauerhaft erhöhte, zukünftige Nachfrage fehlinterpretiert. Dieser Effekt tritt vor allem dann auf, wenn es keine ausreichenden Daten über die vergangene Nachfrage gibt oder die vorhandenen Daten falsch ausgewertet werden. Neben externen, singulären Ereignissen wie aktuell in der Corona-Krise kann dieser Effekt auch durch falsche Dispositionsparameter im ERP-System eines Kunden hervorgerufen werden.
Die Ursachen für den Bullwhip-Effekt sind die 4F: fehlende Transparenz, fehlendes Vertrauen und fehlende oder falsch interpretierte Daten.
Dr.-Ing. Kai Philipp Bauer, Senior Manager Supply Chain Management
Unternehmen haben ein großes Interesse, ihre bestellfixen Kosten zu minimieren und Staffelpreise oder Mengenrabatte auszunutzen. Daher neigen sie dazu, Aufträge zu bündeln. Die Nachfrageprognose für Positionen, die oft gebündelt werden, fällt dann schwer. Vor allem die vorgelagerten Stufen in der Supply Chain haben damit Probleme, da sie nicht wissen, welcher Endkunde bevorzugt Aufträge bündelt und welcher nicht.
Falls der Kunde Versorgungsengpässe befürchtet, kauft er deutlich größere Mengen. Dieser Effekt lässt sich in der Corona-Krise z. B. bei Toilettenpapier beobachten. Die erhöhte Nachfrage kumuliert sich über die Stufen der Supply Chain. Werden diese Mengen als Maßstab für die künftige Nachfrage herangezogen und die nachgefragte Menge bedient, kommt es in nachfolgenden Perioden bei ausbleibender Nachfrage zu einer Verlängerung der Bestellintervalle und einer Steigerung der Bestände und damit auch der Kosten.
Vermutet ein Abnehmer in Zukunft steigende Preise, so wird er seine Bestellmenge erhöhen. Die höhere Nachfrage ist allerdings nicht auf höheren Bedarf zurückzuführen, tatsächlich hat der Abnehmer lediglich seinen Lagerbestand erhöht. In folgenden Perioden wird er weniger bestellen. Daher wäre es auch in diesem Fall nicht ratsam die Produktion in den vorgelagerten Bereichen zu erhöhen.
Senior Manager Supply Chain Management
Sie haben noch Fragen oder Anmerkungen zum Artikel? Sie wollen den Bullwhip-Effekt einmal an Hand eines Planspiels selbst durchspielen oder Ihre Planung und Disposition optimieren? Dann stehe ich Ihnen gerne jederzeit zur Verfügung. Bis dahin, viel Erfolg und einfach machen!
Für jede der zuvor genannten Ursachen des Bullwhip-Effekts gibt es Gegenmaßnahmen. Sie lassen sich in die vier Kategorien Transparenz, Vertrauen und gute Geschäftsbeziehungen, hohe Datenqualität und Demand Chain Management gliedern.
Transparenz in der Supply Chain ist das A und O um den Bullwhip-Effekt zu verhindern.
Dr.-Ing. Kai Philipp Bauer, Senior Manager Supply Chain Management
Transparenz in der Supply Chain ist die wirkungsvollste Maßnahme, um dem Bullwhip-Effekt entgegenzuwirken. Wenn alle Beteiligten wissen, was Kunden und Lieferanten in Zukunft nachfragen, können sich alle besser auf den Bedarf einstellen. Hierzu ist es wichtig, dass alle Akteure in der Supply Chain ihr Wissen teilen. Dies kann beispielsweise durch gemeinsame Supply Chain Kennzahlen umgesetzt werden.
Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit, Daten aus den jeweiligen ERP Systemen so miteinander zu koppeln, dass ein CPFR – Collaborative Planning, Forecasting und Replenishment möglich ist. Dies bedeutet, dass über alle Stufen der Wertschöpfungskette hinweg eine gemeinsame Planung, abgestimmt auf die tatsächliche Nachfrage, stattfindet. Während der Corona-Krise bietet beispielsweise SAP seinen Dienst Integrated Business Planning kostenfrei an.
Eine weitere wichtige Maßnahme, um Bestände zu senken, Kundenzufriedenheit zu steigern und den Bullwhip-Effekt zu vermeiden, ist gegenseitiges Vertrauen und gute Geschäftsbeziehungen. Wenn Sie, wie im Absatz zuvor bereits erwähnt, ihr Wissen über aktuelle und künftige Nachfrage teilen wollen, müssen Sie den Daten Ihres Partners vertrauen können. Nur so können sich alle Akteure in der Supply Chain optimieren. Zudem kann es oft Sinn machen, auf der Basis einer guten Geschäftsbeziehung Rahmenverträge zu schließen. Damit haben alle Parteien über künftige Bestellungen und Lieferungen eine verbesserte Sicherheit und können so besser planen.
Eine hohe Datenqualität in allen Belangen ist in der heutigen Zeit immens wichtig, um als Unternehmen Erfolg am Markt zu haben. Hohe Datenqualität und die richtige Interpretation der Daten hilft auch den Bullwhip-Effekt zu verhindern. So entscheiden Forecast-Daten oder Dispositionsparameter, in welcher Stückzahl welches Material gefertigt oder bestellt wird.
Die Datenqualität sollte in produzierenden Unternehmen gleichsam gepflegt werden wie die Produktionsmaschinen selbst.
Dr.-Ing. Kai Philipp Bauer, Senior Manager Supply Chain Management
Sind aber beispielsweise Dispositionsparameter wie XYZ Kennzeichen, Wiederbeschaffungszeit, Meldebestand, Sicherheitsbestand oder Dispositionsverfahren falsch gepflegt, kann es vorkommen, dass Nachfrageschwankungen falsch interpretiert werden. Daher sollten Sie Ihre Dispositionsparameter in regelmäßigen Abständen überprüfen. Zusätzlich bietet es sich an, auch die Planungs- und Dispositionsprozesse zu analysieren und auf Schwachstellen zu untersuchen. Dies können Sie z. B. mit Hilfe von Process Mining tun.
Die meisten Unternehmen konzentrieren sich bei der Bekämpfung des Bullwhip-Effekts auf die Supply Chain (Nachfrageseite). Sie sollten jedoch auch die Demand Chain (Marktperspektive) betrachten. Je besser Ihre Informationen über den Markt sind, desto genauere Prognosen können Sie abgeben. Dabei kann beispielsweise der Kundenservice eine wichtige Rolle spielen. Falls Sie genaue Daten zum Zustand ihrer verkauften Produkte haben, wissen Sie wann Ersatzteile benötigt werden oder eine komplette Ersatzinvestition ansteht. Das Zusammenlegen von Demand Chain Management und Supply Chain Management in Richtung eines durchgehenden Sales & Operations Planning hilft Ihnen daher Bestände zu optimieren und den Bullwhip-Effekt zu verhindern.
Die aktuelle Corona-Situation stellt viele Lieferketten in zahlreichen Branchen vor große Herausforderungen. Durch richtiges Agieren können Begleiteffekte wie der Bullwhip-Effekt jedoch abgemildert werden.
Die Corona-Krise zeigt, wie schnell und unvorhergesehen Lieferketten unter Druck geraten können.
Dr.-Ing. Kai Philipp Bauer, Senior Manager Supply Chain Management
Lass Sie uns abschließend nochmals das Beispiel Toilettenpapier betrachten. In nachfolgender Abbildung sehen Sie die Nachfrage nach Seife, Desinfektionsmittel und Toilettenpapier im Einzelhandel Anfang 2020. Bei allen Artikeln kommt es zwischen KW 9 bis KW 12 zu einem Nachfrageschock (in KW 12 wird die 3-fache Menge nachgefragt). Im Anschluss kommt es allerdings jeweils zu einem Einbruch der Nachfrage.
Die Folge des Einbruchs sehen Sie in dem nachfolgenden Foto aus KW 17. Einzelhändler haben große Bestände an Toilettenpapier angehäuft und müssen wie in diesem Beispiel ihre Ware vor den Laden stellen und zu Sonderkondition verkaufen. Der Bullwhip-Effekt hat hier voll zugeschlagen.
Was können Sie konkret unternehmen, damit Ihnen das nicht passiert? Überlegen Sie, ob die Bestellungen, die Sie erhalten nachhaltig sind und somit als klares Nachfragesignal in die Planung umgesetzt werden sollten. Schauen Sie auf Märkte, in denen sich die Situation bereits entspannt. In China läuft die Produktion wieder gut an. Achten Sie auf die Absätze dort und ziehen Sie Rückschlüsse für ihre Produkte.
Sprechen Sie zudem mit allen Beteiligten in Ihrer Supply Chain, um zu klären, wer welche Produkte in welcher Menge liefern kann und wo es Probleme gibt. Legen Sie dabei auch das Augenmerk auf den Endkunden. Falls auf einmal ungewöhnlich große Mengen eines Produkts nachgefragt werden, sollten Sie auch mit dem Endkunden sprechen und eine Streckung der Bestellungen diskutieren. Nur so können Sie ein Aufschaukeln über die verschiedenen Stufen der Supply Chain verhindern.
Um die negativen Auswirkungen des Bullwhip-Effekts zu vermeiden, sollten Sie die richtigen Gegenmaßnahmen ergreifen. Konzentrieren Sie sich auf die Transparenz in der Supply Chain und sorgen Sie mit einem guten Lieferantenmanagement dafür, ein Gesamtoptimum in Ihrer Lieferkette zu erreichen.
Senior Manager, Hamburg
Kai Philipp Bauer studierte Maschinenbau mit Schwerpunkt Produktionstechnik und ist seit über zehn Jahren in der Beratung tätig. Er berät seine Klienten insbesondere in Fragen der Strategieentwicklung, des Operations Managements und der digitalen Transformation.
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